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Spuren des versagten Glücks

Diskussion Part-1:

Im Mittelpunkt unserer Diskussion über Pekićs Besnilo-Interview steht Peter E. Gordons „Prekäres Glück“, mit besonderem Augenmerk auf Adornos Glücksbegriff, die Kritik an Honneth sowie die Rolle der Ästhetik – alles verknüpft mit der Frage, warum diese Themen gerade für eine Gen-Z-Leserschaft von Bedeutung sind.

Peter E. Gordon »Prekäres Glück«

Pekić und Adorno

Warum Theodor W. Adornos Denken über Glück, Kritik und Ästhetik heute relevant ist – gerade in einer Welt, die Pekić ebenfalls als zutiefst erkrankt beschrieben hat: eine Zivilisation, deren falsche Grundlagen uns seit Anbeginn infizieren, und die auch die Generation Z zwingt, zwischen mentaler Gesundheitskrise, digitaler Konformität und normativer Unsicherheit nach einem Glück zu suchen, das es im Falschen doch nicht geben kann.

Was wäre Glück, das sich nicht mäße an der unmessbaren Trauer dessen, was ist? Diese Frage stellte Theodor W. Adorno einst in seinen Minima Moralia. Ein halbes Jahrhundert nach Adornos Tod scheint sie drängender denn je – auch (oder gerade) für die Generation Z, die mit Daueroptimismus-Parolen in sozialen Medien konfrontiert ist. Während Instagram-Feeds eine Welt vorgaukeln, in der Glück gleichbedeutend ist mit strahlenden Gesichtern und perfekter Selbstinszenierung, erinnert Adorno daran, dass echtes Glück Tiefgang hat und die Schattenseite der Realität mitdenkt. Prekäres Glück nennt der Harvard-Historiker Peter E. Gordon sein neues Buch – hervorgegangen aus den Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2019 – in dem er Adornos Quellen der Normativität freilegt. Gordon zeigt: Adorno, der oft als Kultpessimist gilt, hat jungen Menschen im 21. Jahrhundert mehr zu sagen, als ein schneller Blick vermuten lässt. Seine Gesellschaftskritik birgt nämlich eine Hoffnung, ein versprochenes Glück im scheinbar Unglücklichen. Und dieses Glücksversprechen ist nicht etwa naiv, sondern bewusst prekär – brüchig, flüchtig, an Bedingungen geknüpft. Genau darin liegt seine Stärke.

Wie Gordon betont, war Adornos philosophisches Schaffen letztlich von einem normativen Bekenntnis zum Glück motiviert. Das klingt überraschend: War Adorno nicht der Denker, der überall nur „das falsche Leben“ sah und jeden Himmel verdunkelte? Doch Gordons intensive Lektüre entlarvt ein verbreitetes Missverständnis. Adorno war kein Prinzipienverächter ohne positive Werte, sondern hielt an einer Vision vom richtigen Leben fest – nur weigerte er sich, dieses Ideal platt auszuformulieren. Glück, das meint bei Adorno nicht einfach subjektives Wohlbefinden. Es steht für menschliches Gedeihen in einem umfassenden Sinne: Von der Befriedigung materieller Grundbedürfnisse bis hin zu den komplexesten Erfahrungen der Kunst. Adorno gebraucht dafür viele Worte – „wahres Leben“, „Versöhnung“, „Frieden“ – doch im Kern bleibt es die Idee eines unversehrten, authentischen Daseins jenseits der verformenden Zwänge. Dieses Ideal eines umfassenden Glücks ist für ihn Maßstab und Verheißung zugleich: Es hält sowohl ein Glücksversprechen als auch einen kritischen Maßstab bereit, an dem wir das Ausmaß der realen Katastrophen bemessen können. Mit anderen Worten: Weil Adorno im Herzen wusste, wie ein nicht-entstelltes Leben aussehen könnte, tat ihm die verzerrte Realität weh – und genau dieses Leiden an der Welt war der Motor seiner Kritik.

Prekäres Glück: Adornos Idee vom Glück und warum sie Tiefgang hat

Natürlich kommt Adornos Glücksbegriff nicht im Sonnenschein daher. Sein berühmter Aphorismus – „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ – macht klar, dass Glück für ihn kein Zustand ist, den man inmitten einer ungerechten Gesellschaft einfach für sich reklamieren kann. Stattdessen ist Glück bei Adorno utopisch gefärbt: ein Kontrastbild zur bestehenden Unfreiheit, ein Versprechen auf etwas ganz Anderes. Gordon beschreibt Adornos Haltung so: In einer Welt, die von Leid und Ungerechtigkeit gezeichnet ist, kann unser Glücksempfinden nur prekär und partiell sein. Ja, in einer unglücklichen Welt ist jedes Glück mit Verzweiflung verschränkt. Diese paradoxe Verschränkung – dass wahres Glück das Leid der Welt mitfühlt – dürfte der Generation Z nur allzu vertraut vorkommen. Viele junge Menschen schwanken zwischen dem Drang, glücklich zu sein, und der Verzweiflung über Klimaängste, soziale Ungleichheit, einen entfesselten Leistungsdruck. Adorno würde sagen: Dieses Unbehagen ist kein persönlicher Defekt, sondern ein angemessener Reflex auf objektive Missstände.

Gordon schildert, wie Adorno das Glück nicht preisgibt, obwohl es ihm stets entzogen scheint. Anders als Zyniker oder Fatalisten beharrt Adorno trotzig auf der Möglichkeit von Glück – allerdings nicht als simplen Anspruch, sondern als Kritik an allem, was uns daran hindert. Adorno selbst hat nie eine „Glücksanleitung“ geschrieben; er misstraute allzu glatten Glücksformeln. Doch zwischen den Zeilen seiner Schriften taucht immer wieder ein „emphatischer“ Begriff des Menschen auf: ein Bild vom leidensfähigen, mitfühlenden Wesen, das spürt, dass mehr möglich wäre. Gordon nennt dieses unausgesprochene Ideal sogar Adornos Kraftereignis, aus dem die Motivation seiner Kritik fließt. Adorno verurteilt die Gegenwart also deshalb so unerbittlich, weil er sie an einer maximalen Forderung nach Glück misst – an einem Glück, das bislang verwehrt blieb, dessen Ahnung aber nicht aus der Welt ist. Für junge Leser mag dies fast tröstlich klingen: Der dunkle Denker Adorno gibt ihnen die Erlaubnis, unzufrieden zu sein mit dem Status quo, ja mehr noch, er adelt diese Unzufriedenheit zum ersten Schritt in Richtung echten Glücks. Glück ist kein Dauergrinsen; es ist die sehnsuchtsvolle Spur des Versagten im Dasein, die uns antreibt, weiterzusuchen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Studentin Anfang zwanzig, die mir anvertraute, Adornos Minima Moralia habe sie durch eine Phase tiefer Niedergeschlagenheit begleitet. Nicht, weil das Buch fröhlich stimmt – gewiss nicht. Sondern weil Adorno die allgegenwärtige Traurigkeit ausspricht, anstatt sie wegzulächeln. Endlich, so sagte die Studentin, fühlte ich mich verstanden: Mein Gefühl, dass etwas grundlegend falsch läuft in dieser Welt, war keine private Neurose, sondern Teil einer größeren Wahrheit. Genau hier liegt Adornos zeitlose Relevanz: Er nimmt emotionale Reaktionen wie Verzweiflung ernst und übersetzt sie in Gesellschaftskritik. Für die mental health-bewusste Generation Z, die offen über Depression und Angst spricht, kann Adornos Denken ein überraschender Alliierter sein. Es ermutigt dazu, das Unbehagen an der Kultur nicht einfach mit Achtsamkeits-Apps und Selbstoptimierung zu betäuben, sondern dessen Ursachen im Größeren zu suchen. Adorno würde vermutlich hinzufügen: Wer angesichts einer kaputten Welt nicht unglücklich ist, der hat das Ausmaß der Beschädigung verdrängt.

Anerkennung oder Negativität? Adorno im Streit der Kritischen Theorie

Trotz dieser hoffnungsvollen Untertöne bleibt Adorno ein unbequemer Denker. Schon seine Schüler und Nachfolger warfen ihm vor, in der totalen Negativität zu verharren. Besonders Axel Honneth – Vertreter der dritten Generation der Frankfurter Schule – hat Adorno kritisch darauf abgeklopft, woher dieser eigentlich seine Maßstäbe für Kritik nimmt. Honneths Einwand: Wer nur sagt „alles ist falsch“ und nirgends einen immanenten Maßstab in der Gesellschaft findet, läuft in eine normative Sackgasse. In den Worten Honneths geriet Adorno in eine Aporie: Er zeichnete einen „geschlossenen Kreislauf von kapitalistischer Herrschaft und kultureller Manipulation“, in dem kein Raum mehr für moralische Gegenkräfte blieb. Kurz, Adorno schien die Welt so dunkel zu sehen, dass er keinen Hebel mehr fand, um sie zu verbessern. Honneth selbst schlug einen anderen Weg ein: Für ihn liegt die Quelle von Normativität in der Anerkennung – darin, dass Menschen einander Liebe, Respekt und Wertschätzung entgegenbringen. Diese zwischenmenschlichen Erfahrungen seien der Keim sozialer Emanzipation. Vor diesem Hintergrund erscheint Adorno als finsterer Gegenpol, der selbst die letzten Funken gegenseitiger Anerkennung vom Scheinwerferlicht der Ideologiekritik auslöschen könnte.

Peter Gordon tritt in Prekäres Glück nun den Gegenbeweis an – allerdings nicht, indem er Honneth frontal widerlegt, sondern indem er Adornos implizite Ressourcen sichtbar macht. Ja, Adorno hat die moderne Welt gnadenlos seziert und kaum etwas von den Verwerfungen des Spätkapitalismus ausgenommen. Doch heißt das, dass er an keinerlei menschlichen Regungen festhielt? Gordon liest Adorno gegen den Strich einer oberflächlichen Verzweiflung. So macht er etwa deutlich, dass Adorno durchaus von Leidens-Erfahrungen ausging, die mehr sind als bloßes Stöhnen: In jedem Schmerz steckt bei Adorno bereits stumm der Wunsch, dass es anders sein möge. Adorno schreibt in der Negativen Dialektik: „Das leibhaftige Moment des Leidens meldet der Erkenntnis an, dass Leiden nicht sein [soll], dass es anders werden solle“. Genau hier setzt Gordon an. Er stimmt Honneth zu, dass Adorno eine negative Normativität verkörpert – das Leiden ist der Maßstab, an dem die falsche Gesellschaft gemessen wird. Aber Gordon betont auch, was Honneth zu übersehen droht: Adornos vages Ideal des „unentstellten“ Menschseins. Dieses Ideal speist sich aus erstaunlichen Quellen – etwa der blassen Erinnerung an frühkindliche Geborgenheit oder unverstellte Empathie. Selbst der angepassteste Erwachsene, so hoffte Adorno, bewahre tief in sich eine Spur jener ursprünglichen Nähe und Liebe, die einmal möglich schien. Diese Residuen des Guten sind zwar schwach, aber unerlässliche Wegmarken. Sie sorgen dafür, dass die Subjekte „trotz aller Verblendung weiterhin ein Interesse an der Befreiung ihrer Vernunft besitzen“ – eine Formulierung, die verdeutlicht, dass Adorno doch an etwas im Menschen appelliert, das über das Bestehende hinausweist.

Honneth hat Adorno vorgehalten, er liefere keine Begründung, warum gerade das Leiden als Maßstab dienen soll. Gordon zeigt nun, dass Adorno diese Begründung gewissermaßen performativ liefert: Indem er überall die Spuren des versagten Glücks aufdeckt, begründet er implizit, warum wir uns nicht einfach mit dem Vorhandenen abfinden dürfen. Hier treffen sich Adorno und Honneth vielleicht sogar – wenn auch auf Umwegen. Beide glauben daran, dass in der heutigen Welt ein emanzipatorisches Interesse überlebt hat, ein Drang der Menschen, frei und ungebeugt zu leben. Honneth sieht dieses Moment in der gegenseitigen Anerkennung, Adorno im aufbegehrenden Schrei des Leidens. Für die Generation Z, die Wert auf Authentizität und gegenseitigen Respekt legt, sind beide Perspektiven spannend. Was tun, wenn Anerkennung (etwa in sozialen Netzwerken) hohl wird, weil sie an Oberflächen klebt? Adorno liefert hier ein Korrektiv: Nicht jedes „Like“ ist echte Anerkennung – wahres Verstandenwerden setzt voraus, das Leid hinter der Fassade zu erkennen. Sein Denken lehrt, den Schmerz ernst zu nehmen als Indikator, dass etwas nicht stimmt. Gerade junge Menschen, die mit der Diskrepanz zwischen Online-Schein und Offline-Sein ringen, können daraus etwas ziehen: Eine Skepsis gegenüber falscher Versöhnung und die Einsicht, dass Kritik an den Umständen legitim ist, solange sie vom gemeinsamen Wunsch nach einem besseren Leben zeugt.

Kunst als Versprechen: Adornos Ästhetik und der normative Überschuss

Wenn es einen Ort gab, an dem Adorno Hoffnungsschimmer für das richtige Leben wahrnahm, dann war es die Kunst. Inmitten einer total verwalteten Welt blieb für ihn die Erfahrung moderner Kunst als Zone der Transzendenz übrig – hier flackerte etwas auf, das über die graue Realität hinauswies. Adorno, selbst Komponist und Musikkenner, sah in der ästhetischen Erfahrung mehr als bloße Unterhaltung: Sie war für ihn eine Chiffre der Freiheit. „Kunst ist die gespeicherte Sehnsucht nach dem ganz Anderen“, könnte man Adorno paraphrasieren. In seinem oft zitierten Diktum – Kunst sei une promesse du bonheur, ein Versprechen auf Glück – schwingt mit, dass jedes große Kunstwerk einen Glücksentwurf bereithält, der im Leben so (noch) nicht zu haben ist. Natürlich bleibt dieses Versprechen gebrochen; das Glück erfüllt sich nicht unmittelbar, wenn wir Beethoven hören oder Kafka lesen. Aber im ästhetischen Erleben spüren wir eine Spannung von „Schon jetzt“ und „Noch nicht“. Adorno meinte, in den Dissonanzen eines Streichquartetts oder den Leerräumen eines abstrakten Gemäldes eine Wahrheit zu erkennen: So könnte es sein, für einen Moment öffnen sich Fenster in eine menschlichere Welt.

Gordon widmet Adornos Ästhetischer Theorie große Aufmerksamkeit – und das zu Recht, denn hier verdichtet sich Adornos Begriff von Glück und Kritik vielleicht am eindringlichsten. Er zeigt, dass Adorno Kunstwerke als Übungen zum richtigen Leben verstand. Jede ehrliche Kunsterfahrung, jeder Moment, in dem uns Musik oder Literatur wirklich ergreift, übt uns ein in eine Haltung jenseits des bloßen Funktionierens. Man könnte sagen: Wer sich auf anspruchsvolle Kunst einlässt, lernt im Kleinen schon, wie nicht-entfremdetes Leben schmecken könnte. Adorno war überzeugt, dass autonome Kunst – also Kunst, die sich nicht den Marktgesetzen oder Propagandazwecken unterwirft – in ihrer Zweckfreiheit die Negation der bestehenden Unfreiheit darstellt. Ein atonaler Klang, der sich nicht harmonisch auflöst, oder ein Roman, der kein Happy End liefert, können im Hörer oder Leser ein Unbehagen auslösen – genau dieses Unbehagen aber ist fruchtbar. Es hält die Wunde offen und verhindert, dass wir uns im falschen Glück einrichten. Gleichzeitig enthält große Kunst für Adorno immer auch einen Schimmer von Versöhnung: Im Gestalten von Form und Bedeutung taucht die Idee auf, dass das Chaos der Wirklichkeit sinnhaft geordnet werden könnte, ohne gleich in platte Lösungen zu verfallen.

Man stelle sich Adorno in unserer digitalen Gegenwart vor: Würde er Netflix-Serien bingewatchen oder Spotify-Playlists durchzappen? Eher würde er wohl fragen, ob die Algorithmus-gesteuerte Kulturindustrie von heute uns noch echten Raum für Erfahrung lässt. Gordon betont, dass Adornos Verständnis von Glück weit gefasst war – es umfasst eben auch ästhetische Erfahrung als essenziellen Bestandteil. Gerade jungen Leuten, die in einer Flut von Medienbildern schwimmen, hält Adorno einen Spiegel vor: Sucht nicht das schnelle Glück im nächsten Dopamin-Kick des Newsfeeds, sondern nehmt euch Zeit für jene Werke, die sperrig sind, die euren Atem und eure Gedanken herausfordern. Denn dort, in der Begegnung mit Kunst, könnten Spuren des versagten Glücks aufleuchten, die ihr anderswo vergeblich sucht. Wenn heute kulturelle Fragmentierung beklagt wird – weil jeder nur noch seinen personalisierten Content-Kosmos hat – könnte Adorno entgegnen: Lieber ein fragmentiertes Kunstwerk, das die Zerrissenheit spiegelt, als eine glattpolierte Massenkultur, die uns alle in Konformität wiegt. Seine Ästhetik ermutigt dazu, im Unangepassten und Sperrigen einen Wert zu sehen. Für eine Generation, die sich zunehmend vom Mainstream abwendet und nach authentischen Nischen sucht, ist das eine inspirierende Botschaft.

Adornos Vermächtnis: Ein Kompass für die Verunsicherten

Am Ende läuft alles auf die Frage hinaus: Was bringt uns Heutigen, besonders den jungen Menschen, dieses komplizierte Gedankengebäude Adornos? Peter E. Gordons Essay Prekäres Glück liefert eine eindrückliche Antwort. Adorno bietet keinen einfachen Lebensratgeber – er war kein Philosoph, der „Zehn Schritte zum Glück“ predigte. Aber gerade dadurch eröffnet er Räume zum Selberdenken. In einer Zeit, in der viele das Gefühl haben, die Welt sei aus den Fugen (Klimawandel, Pandemien, politische Polarisierung), vermittelt Adorno eine paradoxe Hoffnung: Die Weigerung, sich mit dem Falschen zufriedenzugeben, ist der erste Schritt ins Richtige. Seine Kritik an der „verwalteten Welt“ lehrt uns, scheinbare Sachzwänge zu hinterfragen – etwa warum ständige Erreichbarkeit als Erfolg gilt oder wieso Selbstoptimierung die Antwort auf alles sein soll. Adornos Empfinden nach ist Glück kein Konsumgut, sondern ein gesellschaftliches Versprechen, das noch aussteht. Dieses Versprechen aber am Leuchten zu halten, indem man Nein sagt zum bloß so Weiter, darin liegt eine Form von Widerstand, die gerade jungen Leuten Kraft geben kann.

Man kann sich gut vorstellen, wie Adorno auf die Phänomene des 21. Jahrhunderts blicken würde. Das endlose Scrollen durch Instagram, die Inszenierung eines perfekten Ich: Adorno hätte wohl von einem neuen „Verblendungszusammenhang“ gesprochen, einer allumfassenden Scheinwelt, die die Menschen blind hält für ihr eigenes Unglück. Sein Gegengift wäre nicht moralische Predigt, sondern ästhetische Erfahrung und kritisches Denken. Vielleicht würde er jungen Künstler:innen auf TikTok applaudieren, die die Plattform subversiv nutzen, um echte Gefühle und Gesellschaftskritik auszudrücken – kleine Flaschenposten, die der Funktionslust entgegenstehen. Sicher hätte er Sympathie für Fridays for Future und andere Jugendbewegungen, wo kollektives Unbehagen in politische Aktion umschlägt. Denn dort manifestiert sich, was er für zentral hielt: das emanzipatorische Interesse, das in unserer beschädigten Gesellschaft eben doch nicht erloschen ist. Die Welt von heute mag technisch fortschrittlicher sein als Adornos Nachkriegsmoderne, aber die grundlegenden Fragen – Wie sollen wir leben? Was ist ein gutes Leben in einer falschen Wirklichkeit? – bleiben verblüffend ähnlich.

Zum Schluss eine kleine Anekdote: Kürzlich saß ich in einem Belgrad Café, neben mir zwei Jugendliche, vertieft in ihre Smartphones. Plötzlich hörte ich den einen zum anderen sagen: „Glücklich? Keine Ahnung, man muss halt funktionieren.“ Ich musste unwillkürlich lächeln – nicht aus Überheblichkeit, sondern weil mir Adorno in den Sinn kam. Hätte sich Teddie Adorno an ihren Tisch gesetzt, er hätte vermutlich milde den Kopf geschüttelt und gefragt: „Warum eigentlich müssen? Wer sagt euch, dass ihr so weiter funktionieren sollt – und wer verdient daran?“ Adorno, der unbequeme Onkel, hätte den beiden womöglich kein direktes Glücksrezept angeboten. Aber er hätte sie ermutigt, an ihrem vagen Unbehagen dranzubleiben, es ernst zu nehmen. Vielleicht hätten sie am Ende neugierig gefragt, was es mit dieser Trauer dessen, was ist auf sich hat, von der Adorno sprach.

Die Lektüre von Prekäres Glück durch Peter E. Gordon zeigt eindrucksvoll, dass Adornos Gedanken keineswegs verstaubt im Bücherschrank liegen müssen. Sie können funken – gerade in junge Köpfe. Adorno bietet einen Wortschatz und Denkrahmen, um die eigene Unzufriedenheit zu artikulieren, ohne in Zynismus abzugleiten. Sein Glücksversprechen ist kein Wellness-Konzept, sondern ein kritischer Impuls: Glück soll sein – dieses trotzige Sollen richtet sich gegen jede Resignation. In Adornos dialektischem Denken verbindet sich so die Verzweiflung mit der Hoffnung. Für die Generation Z, die vor der Aufgabe steht, eine fragmentierte, krisenhafte Welt neu zu erfinden, kann diese Haltung wegweisend sein. Prekäres Glück heißt: das Glück als fragiles, riskantes Projekt begreifen – aber eben als Projekt, nicht als Illusion. Es mag momentan „versagt“ sein, doch indem wir die Spuren davon suchen, halten wir die Möglichkeit offen, dass es eines Tages Realität wird. Adorno würde hinzufügen: an uns liegt es, diese Möglichkeit nicht verkümmern zu lassen, sondern sie im Denken, Fühlen und Handeln lebendig zu halten – auch wenn’s weh tut. Denn ein Glück, das sich nicht an der unermessbaren Trauer messen lässt, wäre letztlich keines. Und genau deshalb bleibt Adorno, der große Kritiker, ein unverzichtbarer Gefährte auf der Suche nach dem richtigen Leben.

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